
Künstliche Intelligenz und Maschinisierung des Menschen
Fast jeder hat Erfahrungen mit Siri, Alexa oder anderen Chatbots. Doch was geschieht, wenn ein Mensch einen Chatbot in einen Dialog über Philosophie verwickelt? Kann man mit künstlichen Intelligenzen (KI) überhaupt über Bewusstsein, Erinnerung und philosophische Theorien der Zeit diskutieren?
Ja, man kann – zumindest der Form nach. Und das gleich zweimal: Mit den beiden für den Loebner-Preis für KI dekorierten Chatbots Rose und Mitsuku. Ob das geistreich ist? Das muss jeder für sich entscheiden. Ob das unterhaltsam ist? Ja – allerdings eher unfreiwillig. Im systematischen Teil des Essays werden die Dialoge ausgewertet. Dabei wird der gegenwärtige Hype um KI als maßlose Übertreibung sichtbar, ein Goldrausch der KI gewissermaßen, übrigens von Menschen und ihren allzu menschlichen Interessen veranlasst.
Die Begriffe rund um das Thema KI werden im Buch weggeholt von der Behauptung der Singularität, der Disruption oder der versteckten Science Fiction – zurück auf den Boden der funktionalen Tatsachen einer gleichwohl beachtlichen Innovationsspirale: Automatisierung, Standardisierung und maschinelles Verarbeiten von großen Echtzeit-Daten sind aktuell die sachgemäßen Beschreibungen des gegenwärtigen KI-Rauschs. Doch eigentlich geht es beim KI-Rausch um etwas anderes: Die Maschinisierung des Menschen durch Standardisierung, Automatisierung und verbesserte Kontrolle zur fortschreitenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche, ermöglicht durch Algorithmen, Datafizierung und digitale Technologie in bisher ungeahnter Wirkmächtigkeit.
Der Essay enthält dazu fünf Thesen:
These 1:
Maschinen werden immer effizienter im Automatisieren – oder: die Automatisierung der Automatisierung
These 2:
Trotz Automatisierung der Automatisierung: Maschinen sind nicht geistreich intelligent
These 3:
Menschen werden als Datenhaufen ausgemessen – und damit zu Datenhaufen gemacht
These 4:
Datenhaufen quo vadis? Von der Präferenz-Erfassung zum „hackable animal“
These 5:
Synthese = Die Maschinisierung der Menschen – zur Bahnung der KI
Fazit: Mit den künstlichen Intelligenzen verhält es sich wie mit künstlichen Tränen: Sie erfüllen einen instrumentellen Zweck, der aber in keiner Weise mit jenen schillernden Gefühlen verbunden ist, die wir in Freude oder Trauer empfinden – und die uns zum Menschen machen. Alles andere ist Budenzauber oder Desinformation.
Peter Seele im Pendant-Podcast
Rafiu Raji im Gespräch mit Peter Seele
»Wir haben mit Peter Seele über sein neues Buch “Künstliche Intelligenz und die Maschinisierung des Menschen” gesprochen. Es ging um die Sensation “künstliche Intelligenz” und die Fragen, wie intelligent sie wirklich ist und was sie für unseren Alltag und unsere Arbeit zu bedeuten hat. Peter Seele fragt, ob wir es schaffen, uns diesem neuen Phänomen gegenüber vernünftig zu positionieren und wir haben ihn gebeten, ein paar mögliche Zukunftsszenarien zu skizzieren. Wir haben diskutiert, was die Gefahren der Maschinenintelligenz sind und wie wir uns Menschen am besten verhalten sollten, nämlich uns aufraffen, Stellung beziehen und selbst produzieren, anstatt nur zu konsumieren. Peter Seele hat uns noch mal den Unterschied zwischen analogem und digitalem Lesen erläutert und für kleine Revolutionen der Selbstaufklärung plädiert. Zum Ende wurde diese Episode mit detaillierten Ausführungen zu Peter Seeles Begriff der “doppelten Konvergenz” verfeinert. Wir wünschen und den zweiten Band zu den Themen Selbstaufklärung und Introspektion!« (Ankündigung von Pendant)
Peter Seele
Künstliche Intelligenz und Maschinisierung des Menschen
Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses, 1
2020, 200 S., 190 x 120 mm, dt.
ISBN (Print) 978-3-86962-512-6 | 21,00 EUR
ISBN (PDF) 978-3-86962-513-3 | 17,99 EUR
ISBN (ePub) 978-3-86962-514-0 | 17,99 EUR


Peter Seele
(*1974) ist Ordinarius für Wirtschaftsethik an der Universität der italienischen Schweiz (USI Lugano). Studium der Wirtschaftswissenschaften (Dipl.) und Philosophie/ ev. Theologie (Magister) an der Universität Oldenburg und an der Delhi School of Economics, Indien. Promotion in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke (2003 bei B. Priddat und R. zur Lippe) und in Philosophie an der Universität Düsseldorf (2006 bei C. Kann und D. Birnbacher). Zwei Jahre tätig als Unternehmensberater, darauf Post-Doc am KWI Essen, Assistenzprofessor an der Universität Basel und seit 2011 an der USI Lugano.